Brauchen Unternehmen einen Chief Information Governance Officer (CIGO)? (2) – Organisationaler Wandel ist gefragt!

„Die vielleicht größte organisatorische Herausforderung auf dem Weg zu einer einheitlichen Information Governance ist, dass keine Abteilung alleine die angestrebten Ziele und Vorteile erreichen kann.“ (Harry Pugh, Daten vernichten: Warum es so schwierig ist, in: Wirtschaftsinformatik & Management, Nr. 4, 2012)

 

Der bekannte US-amerikanische Experte und Buchautor einer autoritativen Monographie (2014) über „Information Governance“ (IG), Robert Smallwood, ist inzwischen zum Schluss gekommen, dass im weit verbreiteten IG-Referenzmodell (Information Governance Reference Model, IGRM) eine entscheidende Komponente fehlt, nämlich Change Management als Bedingung einer erfolgreichen Governance[1].

Viele IG-Initiativen und -Programme gelten inzwischen als gescheitert, weil in einem rein sozio-technischen Umsetzungsdesign die kulturellen und politischen Faktoren völlig unterschätzt worden sind. Diesen Befund kann ich aus eigener Praxis bestätigen[2]. Das obige Eingangszitat legt nahe, dass der Weg zu einer erfolgreichen Governance nur über eine Kultur des Miteinander (Zusammenarbeit) führt, sprich permanente Kommunikation, Kooperation und Kollaboration[3].

Die Schaffung einer solchen (IG-affinen) Kultur bedingt organisationalen Wandel, der meist nur durch eine schrittweise Annäherung erreicht wird: von grossen Würfen wird abgeraten.

Wir haben im ersten Beitrag von Bruno Wildhaber über den CIGO (Chief Information Governance Officer) dargelegt, dass eine grundsätzliche Ambivalenz besteht zwischen einer wünschbaren strategischen IG-Leadership durch das Top Management (VR oder Geschäftsleitung) und einer entsprechend orchestrierten Umsetzung durch die taktischen und operativen Fachebenen und -gremien. Ein CIGO alleine schafft dies nie. Eine hierarchische Gefolgschaft wird auch nicht funktionieren. Es braucht eine koordinierte Zangenbewegung von unten und oben, damit die Governance in der Mitte Fleisch ansetzt wie im Hamburger-Modell unten.

whopper

Das Hamburger-Modell veranschaulicht, dass ein Zusammenhalt nur entstehen kann, wenn von oben ein Top-Down Support zieht und unten eine Legitimationsbasis das Fundament stützt und hält. Governance hat demnach mit Legitimität zu tun wie immer wenn es um Politik geht. Das Hamburger Modell unterstützt auch sinnbildlich die vom KRM propagierte MATRIO-Methode® zur Umsetzung von Information Governance Initiativen. Zusätzlich passt es auch bestens in unser Kühlschrank Modell[4] zur Darstellung der Information Governance. Lebensmittel wie Daten sind verderblich, d.h. Organisationen verfügen nicht über beliebig viel Zeit, um ihre Informationen in Ordnung zu bringen.

Die entscheidende Frage ist nun, wie denn eine Kultur entstehen kann, in der alle Stakeholders ein Verhalten entwickeln, das alle Beteiligten motiviert am gleichen Strick zu ziehen und zugleich der Sache dient, nämlich ohne Rücksicht auf Hierarchien den Produktionsfaktor Information so zu managen, dass er den Wert des Unternehmens steigert und die damit verbundenen Risiken minimiert.

Zunächst dürfte es mal ernüchternd sein zu erfahren, dass 70-80% aller Betriebskulturen (leider) noch sehr hierarchisch aufgestellt sind. In Deutschland wohl noch stärker als in eher angelsächsisch geprägten schweizerischen Firmenkulturen. Es dominiert weitgehend das EGO-System noch weit vor dem Verständnis eines Betriebs als ECO-System.

Eine Umfrage der Wochenzeitung „Die Zeit“[5] ergab, dass der veraltete Führungsstil in deutschen Firmen den Wirtschaftsstandort gefährdet. Viele Manager empfinden sich selbst als Gefangene in einem ungeliebten System. Als Alternative wird ein Zukunftsmodell favorisiert in dem sich die Manager als Mittler und Coaches sehen, „in sich selbst organisierenden, bereichsübergreifenden Netzwerken, mit denen man eine kollektive Intelligenz anzapfen kann, um so Innovationen hervorzubringen.“ Dies dürfte allerdings auch eine Wunschvorstellung sein, denn dieser Haltung steht die gelebte Erfahrung gegenüber, dass immer weniger Manager bereit sind, Entscheide zu fällen. Und dabei müssen diese nicht einmal unpopulär sein, aber wer entscheidet exponiert sich und könnte seine Karrierre gefährden. Die beiden Seiten der Medaille: Eine Kultur, in welcher Laissez-faire herrscht und sich niemand verantwortlich fühlt vs. eines klassischen Command & Control Führungsstils. Offensichtlich liegt die Wahrheit in der Mitte, bzw. muss den Umständen angepasst werden. In vielen Bereichen (auch im Informationsmanagement) ist Command & Control die einzige Möglichkeit, sinnvolle Ergebnisse zu erzielen und wirtschaftlich zu arbeiten. So kann ich z.B. den Mitarbeitern die Festlegung von Metadaten nicht selbst überlassen (vgl. Red Flags)[6].

Der Anspruch des obigen Zukunfstmodells ist hoch und stellt grosse Anforderungen an die soziale Kompetenz aller Akteure jenseits von romantisch heroisierter Teamarbeit oder reiner Selbstorganisation. Das Zauberwort hier heisst Flexibilisierung und Agilität und erscheint unter den Begriffen „agile Führung[7] oder „laterale Führung“ und verlangt nach grundsätzlichem organisationalem Wandel. Darauf soll an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Ansätzen, die aber alle noch sehr experimentellen Charakter haben, zB auch die Übertragung von Scrum-Methoden ins Management. Solche Projekte sind wichtig als Wegbereiter und Eisbrecher, aber es gibt wenige Firmen, die damit umgehen können und es gilt realistisch zu bleiben.

Realistisch heisst hier, dass Machtfaktoren und -spiele nicht einfach ausgeblendet werden können, sondern dass es darum geht eine Balance zu finden im Spannungsfeld zwischen Macht, Vertrauen und Verständigung. Die beiden letzten Faktoren wirken dabei als Korrektiv.

lateral

Dieser von Kühl[8] entwickelte Ansatz ist betriebssoziologisch fundiert und lässt sich problemlos auf den Bereich der Information Governance übertragen. Laterale Führung heisst zunächst einfach die Tatsache, dass es möglich wird als Chef angesehen zu werden ohne Chef zu sein[9]; d.h ich kann sachbezogene und kompetente Entscheide fällen ohne eine formale Weisungsbefugnis zu haben; es bedeutet, dass die Formalstruktur einer Organisation in den Hintergrund tritt zugunsten einer gemeinsamen Zielsetzung in einer Sache die begeistert.

Wesentlich ist hier die innere Haltung jenseits von typisierenden Führungsstilen oder Persönlichkeitstypen (zB Myers-Briggs) die überholt sind.

Wie dies in einer Information Governance Umgebung gehen kann, die getrieben wird von technologischen Disruptionen soll in der nächsten Folge erörtert werden.

vgl. auch den Approach unserer Kollegen von doculabs: http://www.doculabs.com/change-management-part-infosec-information-management-initiative

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[1] Es gab dazu einen Beitrag in LinkedIn: https://www.linkedin.com/pulse/information-governance-reference-model-why-change-should-smallwood

[2] Vgl. meinen Aufsatz über eine Fallstudie: Information Governance – Beyond the Buzz, in: Records Management Journal 2013, Vol. 23 Iss: 3, pp.228 – 240

[3] Vgl. Gartner Outlines Six Best Practices for Moving to a Culture of Extreme Collaboration (2012)

[4] Video: https://youtu.be/DZFWPeP_hS0

[5] Umfrage: Manager halten deutsche Führungskultur für überholt, Die Zeit 30.9.2014: http://www.zeit.de/karriere/2014-09/manager-fuehrungsstil-umfrage

[6] Wildhaber et.al. (2015): Information Governance, 2.5.4

[7] Vgl. Scherber, S., Lang M. (2015): Agile Führung. Vom agilen Projekt zum agilen Unternehmen, Düsseldorf

[8] Kühl Stefan (2015): Führen ohne Hierarchie: Macht, Vertrauen und Verständigung im Konzept des lateralen Führens, in: Geramanis O., Hermann K. (hrsg.). Führen in ungewissen Zeiten. Impulse, Konzepte und Praxisbeispiele, Berlin (Springer); vgl. auch: Kühl / Schnelle: Führen ohne Hierarchie Macht, Vertrauen und Verständigung im Prozess des Lateralen Führens, in: OrganisationsEntwicklung Nr.2, 2009

[9] Eggenberger S. (2014): Als Chef gesehen werden –  Ohne Chef zu sein, in: Alpha (Tages-Anzeiger), 20.9.2014

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